Ein Hauch Ewigkeit in Halberstadt

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Schon vor Jah­ren ent­deck­te ich den Aus­nah­me­mu­si­ker John Cage für mich durch ein Youtube-Video zu sei­nem Stück »4:33«. Ein Bahn­hof, ein Flü­gel, Pas­san­ten. Der Pia­nist klappt den Kla­vier­de­ckel hoch und war­tet. Pas­san­ten lau­fen vor­bei, sehen den Mann, fra­gen sich, war­um er nicht spielt. Nach genau 4 Minu­ten und 33 Sekun­den klappt er den Deckel wie­der her­un­ter. Er hat ein Stück gespielt, das nur aus Pau­se besteht, ja die Lücke zwi­schen den Noten zele­briert. John Cage ist speziell.

In der Orgel­stadt Hal­ber­stadt in Sachsen-Anhalt, genau­er in der Burchardi-Kirche, läuft gera­de die ein­ma­li­ge Auf­füh­rung des Stücks »ORGAN²/ASLSP« John Cage. Die Auf­füh­rung star­te­te bereits am 05.09.2001 zu sei­nem 89. Geburts­tag, ist aber noch lan­ge nicht zuen­de. Das Stück besteht aus 8 gleich lan­gen Tei­len zu je 71 Jah­ren, wobei ein Teil wie­der­holt wird (639 : 9 = 71). Eine Vor­stel­lung, wie lang­sam das Stück hier gespielt wird, lie­fert das Info­blatt der John-Cage-Orgel-Stifung Hal­ber­stadt: »Die Urauf­füh­rung von Gerd Zacher, dem das Stück auch gewid­met ist, hat 1987 in Metz ca. 29 Minu­ten gedau­ert. … 1 Monat (bei 639 Jah­ren) ent­spricht etwas mehr als 0,2 Sekun­den (bei 29 Minu­ten).« — ein Fak­tor von etwa 11,5 Mil­lio­nen. Die Par­ti­tur hat sogar Stri­che für Mona­te und Jah­re. So lang­sam ist das!

War­um gera­de 639 Jah­re? Zum Start der Auf­füh­rung war es genau 639 Jah­re her, als die berühm­te Block­werk­or­gel im Hal­ber­sted­ter Dom fer­tig­ge­stellt wur­de. Über die Dau­er und das Takt­maß wur­den und wer­den die Zeit­punk­te bestimmt, wann es die Klang­wech­sel gibt. Zum Bei­spiel kommt bei dem nächs­ten (17.) Klang­wech­sel am 26.08.2026 eine a´-Pfeife dazu und am 05.10.2027 wird eine e´-Pfeife rausgenommen. 

Die­ser Ton erklingt seit dem letz­ten Klang­wech­sel am 05.02.2024 und setzt sich seit dem aus c’ (16′), des’ (16′), d’, dis’, e’, ais’ und e« zusam­men. Die Schwan­kun­gen in der Laut­stär­ke kom­men vom leich­ten Posi­ti­ons­wech­sel wärend der Aufnahme.

Der Bla­se­balg gegen­über erzeugt den nöti­gen Druck auf den Orgelpfeifen.

Ein Orgel­kon­zert, das die Men­schen aus 7 Jahr­hun­der­ten ver­bin­det. In den ers­ten 12 Jah­ren gab es zur Finan­zie­rung des Pro­jek­tes die Mög­lich­keit, Stif­ter eines der 640 Spiel-Jahre zu wer­den. Gra­vier­te Sprü­che, Wün­sche, Erin­ne­run­gen und Bot­schaf­ten fin­den sich an soge­nann­ten Stif­ter­ta­feln. Das sind die schwar­zen Metall­plat­ten, wel­che umlau­fend alle Wän­de in der Bur­char­di­kir­che zie­ren. Bot­schaf­ten an eine Zeit weit nach der eige­nen Lebens­span­ne. Wenn man so durch die Jah­re wan­dert, ent­lang all die­ser Bot­schaf­ten, zusam­men mit der ste­tig gespiel­ten Note ist es so, als wür­de die Zeit still stehen.

Ich hof­fe, dass die Kir­che und die Orgel lan­ge genug bestehen, damit das Kon­zert in 614 Jah­ren auch Applaus erhält. Dafür gibt es übri­gens jetzt schon limi­tier­te Tickets, wel­che von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on über­trag­bar sind. Wie die Welt wohl dann aus­se­hen wird?

Die Burchardi-Kirche, noch 615 Jah­re Spiel­stät­te für die Auf­füh­rung von John Cage »ORGAN²/ASLSP«